Vom Moor und Markt – wie geht eine Klimabilanz für Paludikultur-Produkte?
Clemens Kleinspehn arbeitet and der Universität Greifswald im Projekt PaludiAllianz daran, die Umweltwirkung über den gesamten Lebenszyklus, eine LCA, eines Paludi-Produkts zu berechnen. Das ist ziemlich wichtig - es liefert eine Grundlage für dessen wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit.
Herr Kleinspehn, LCA - Was heißt das genau?
Life Cycle Analysis, auf Deutsch Lebenszyklusanalyse, ist eine systematische Methode zur ökologischen Berichterstattung. Sie erfasst, welchen Umwelteinfluss ein Produkt über seinen ganze Lebenszyklus hat - von der Rohstoffgewinnung über die Wiederverwertung bis zur Entsorgung. Es gibt zwei unterschiedliche Arten von LCAs: zum einen LCAs für die Prozessoptimierung bei der Produktion, zum anderen LCAs für den Vergleich zweier Produkte. Das ist die relevantere für uns, denn wir wollen zeigen, das Paludikultur-Produkte besser als Konkurrenzprodukte abschneiden.
Und welches Produkt wird gerade untersucht?
Wir konzentrieren uns auf den Versandkarton des Versandhandels OTTO Group, der 10 % Paludikultur-Biomasse enthält.
Und wie genau macht man eine LCA – speziell für ein Paludikultur-Produkte?
Das ist ein bisschen der Knackpunkt. Normalerweise nutzt man zur Berechnung ökologische Datenbanken wie Ecoinvent oder Sphera oder Ökobaudat. Aber die enthalten noch keine Daten zu Paludikulturen. Wir müssen diese selbst zusammenstellen.
Üblicherweise werden Daten zu jedem Prozessschritt erhoben – zur Biomasseproduktion würde man z.B. die Aussaat, die Düngung, Zeit sowie Energieverbrauch beim Einsatz von Maschinen betrachten. Tiefergehend ließe sich die Produktion der Maschine auch mit einrechnen. Es gibt für LCAs jedoch keine verpflichtenden Kriterien, was drin sein muss – das liegt im Ermessen. Sie haben also keinen gemeinsamen Standard und können irreführend manipuliert werden, um Produkte vorteilhaft darzustellen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Atomstrom, der eine sehr gutes Verhältnis von produzierter Strommenge zur CO2 Produktion hat, wenn man die Urangewinnung, den Auf und Rückbau der Kraftwerke und die Entsorgung der Brennstäbe nicht mit einrechnet.
Hmm, ok – aber sie wollen sicher nichts manipulieren - was heißt das also für den Ermessensspielraum bei dieser LCA?
Wir orientieren uns an bestehenden LCAs – es gibt eine für Graspapier und für Sylphiepapier. Beides sind Konkurrenzprodukte, mit denen wir uns vergleichen wollen. Deswegen setzen wir ähnliche Standards ein.
Unsere LCA fokussiert sich auf die Einflusskategorien Wasser- und Energieverbrauch, Biodiversität, sowie entstehenden THG-Emissionen. Besonders die bodenbürtigen Emissionen spielen bei Paludikultur-Produkten eine Rolle. Weitere Einflusskategorien, die im Bausektor vorgeschrieben sind, wie beispielsweise Ökotoxizität können wir aus Kapazitätsgründen nicht abbilden. Zu einer Frage überlegen wir noch: Vergleichen wir Paludikultur mit Landwirtschaft nur auf organischen Böden oder auch auf mineralischen Böden? In jedem Fall würden wir dies transparent darstellen.
Sie sind meistens nicht dabei, wenn Biomasse geerntet oder daraus Pappe gepresst wird. Wie berechnen Sie die Umweltkosten?
Ich nutze die Daten vieler Kolleg*innen und Partner, die teilweise schon lange zu Paludikultur forschen und dazu publiziert haben. Sie haben zum Beispiel die Arbeitsprozesse beim Ernten mit Kameras, sogenannten GoPros, erfasst- Auch die verarbeitenden Betriebe liefern Daten, die aus der Papierproduktion liegen uns schon vor. Wir konzentrieren besonders uns auf Prozesse vom Rohstoff bis zur Fabrik, also „cradle to gate“. Dieser Abschnitt fehlt uns gerade noch, also wenn z.B. Heu zu Pellets gepresst und so für die Papierproduktion vorbereitet wird. Ab der Fabrik können wir auf bestehende ökologische Bilanzierungen zurückgreifen.
Das dauert ziemlich lang? Wie ist der Zeitrahmen für diese LCA?
Wenn man alle Daten zusammen hat, gibt es standardisierte Software zum Erstellen von LCAs. Diese Berechnung beauftragen wir und rechnen dann mit sechs Monaten – natürlich ohne die vorausgehende Zeit für Recherche.
Das ist ein erster hoher Aufwand für ein Fallbeispiel anhand des OTTO-Versandkartons. Er lohnt sich dennoch, denn dann lassen sich einzelne Arbeitsphasen auf andere Produkte übertragen, etwa von der Rohstoffgewinnung auf dem Feld bis zum Transport in die Fabrik.
Kann man schon etwas über die verschiedenen Phasen sagen? Da gibt es ja auch noch Produktion, Nutzung und Entsorgung …
Zumindest so viel: From gate to grave – also ab Verlassen der Produktion bis zum Entsorgen sind Paludikultur-Produkte vergleichbar mit bestehenden Produkten im betrachteten Papier- und Kartonagesektor. Das liegt zum Beispiel daran, dass die Maschinen in der Produktion die gleichen sind. Den großen Unterschied im Umwelteinfluss von Paludikultur-Produkten macht aber das Gewinnen der Biomasse ganz am Anfang. Mehr lässt sich noch nicht sagen.
Was passiert, wenn die LCA fertig auf dem Tisch liegt?
Abnehmer fragen LCAs bei Firmen nach, weil sie ein Kriterium zum Kauf sind. Sie entscheiden sich nach Produktqualität, Kosten und dem ökologischen Fußabdruck, belegt etwa durch eine LCA. Ein höherer Preis kann sich durch die beiden anderen Kriterien rechtfertigen.
Transparenz zum ökologischen Fußabdruck eines Produkts ist also wichtig. Unsere Analyse wird veröffentlicht, um anderen Produzenten oder auch interessierten Bürger*innen eine Vergleichsbasis zu bieten. LCAs werden in standardisierten Einheiten, wie beispielsweise Klimawirkung in Tonnen von CO2-Äquivalenten pro produzierter Tonne Papier ausgedrückt, das macht sie auch für Laien verständlich.
Herr Kleinspehn – hat diese Analyse eine besondere Faszination für Sie?
Interessant finde ich, in LCAs einzelne Produktionsschritte eines Produktes überhaupt erstmal zu realisieren und dann die Variablen zu bestimmen. Etwa bei der Düngung – wie oft oder wie viel wurde hier gedüngt? Oder bei der aufgewandten Energie – ist diese fossil oder regenerativ? Für mich als passioniertem Computerspieler hat das etwas von einem Spiel, in dem man sich Komponenten zusammenstellen kann.
Das Interview führte Nina Körner.








