Das Paludikultur-Interview
Einleitungstext
Ersatz für erdölbasierte Kunststoffe braucht auch der 3-D-Druck. Wie Pflanzenfasern die Eigenschaften von neuen Werkstoffen dafür verbessern können, erforscht Wissenschaftler Jonas-Rumi Baumann an der Hochschule Bremen. Bei ihm kommen auch Paludikultur-Pflanzen wie Rohrkolben und Schilf in den 3-D-Drucker.
Herr Baumann, drucken Sie für Ihre Forschung ständig kleine Figürchen im 3-D-Drucker – wie muss man sich das vorstellen?
Das würde ich gerne, aber so weit sind wir noch nicht. Erstmal sind wir dabei, den Werkstoff für den Druck zu entwickeln. Mich persönlich fasziniert der 3-D-Druck. Wenn ein kleines Teil an meinem Kühlschrank kaputt gegangen ist, kann ich es einfach nachdrucken.
Was machen Sie dann genau?
Bei uns geht es um Compounds – um Verbindung von Kunststoff mit Biomasse, um so erdölbasierte Anteile in Produkten zu reduzieren. Pflanzenfasern können deren Eigenschaften verbessern. Solche Mischungen heißen „Naturfaserverbundwerkstoffe“. Ich untersuche diese neuen Werkstoffe an sogenannten Prüfkörpern - das sind Testteile - auf ihre mechanischen Eigenschaften. Wir haben schon mit Flachs, Hanf und Brennnesseln gearbeitet, sind aber immer auf der Suche nach neuen Fasern.
Und welche Paludikulturpflanzen eignen sich?
Breitblättriger Rohrkolben und Schilf eigenen sich bisher am besten. Sie haben die interessantesten mechanischen Eigenschaften. Dazu gehört die Steifigkeit, also wie stark sich etwas elastisch verformt und in die Ausgangslage unverändert zurückkehrt. Dann die Festigkeit: Was hält der Werkstoff aus, bis er bricht.
Papier und Kartonage - bspw. Formschalen aus Paludikultur-Biomasse - gibt es schon. Was ist für den 3-D-Druck anders?
Für Karton oder Einwegschalen muss die Biomasse ganz anders verarbeitet werden. Im Spritzgussverfahren, mit dem Kunststoffteile heute gängig produziert werden, kann der Rohstoff direkt in Granulat-Form verarbeitet werden. Für den 3-D-Druck müssen wir in einem zusätzlichen Schritt einen thermoplastischen Draht entwickeln und herstellen. Dieser ist einem langen Metalldraht ähnlich, der dann auf einer Rolle aufgewickelt ist. Beim Drucken wird er auf 200 °C erhitzt und durch eine Öffnung von 0,4 mm gepresst. Lage für Lage entsteht daraus das Werkstück. Dafür verwenden wir extrem fein gemahlene Biomasse, die in einem Compounder mit dem Kunststoff immer gleichmäßig vermischt werden muss. So sind konstant gleiche Eigenschaften des Produkts garantiert. Schon das ist schwierig. Hinzu kommt eine Veränderbarkeit durch Feuchtigkeit. 1-3% sind in Biomasse häufig auch nach dem Trocknen noch gegeben. Der Compounder ist eigentlich ein geschlossenes System, doch diese Feuchtigkeit muss unbedingt abgeführt werden. Sonst lassen sich die Bestandteile nicht richtig mischen. Dann kommt am Ende kein gutes Bauteil aus dem Drucker.
Wenn sich die Compounds verbinden – landen Ihre bisherigen Werkstoffe dann auf dem Komposthaufen oder in der Restmülltonne?
Das Ideal ist ein komplett kompostierbarer Verbundwerkstoff. Heute verwenden wir den Kunststoff Polyacetid (PLA), auch Polymilchsäure genannt. Unter Industriebedingungen etwa einer definierten Temperatur ist es kompostierbar, aber noch nicht zuhause im Garten. Ein anderer verwendeter Kunststoff ist das Polyhydroxybutyrat (PHB). Dieses baut sich zum Beispiel unter marinen Bedingungen ab. Das ist also gut gegen das Vermüllen der Meere durch Plastik.
3-D-Druck scheint noch eher eine Nische zu sein - wie sieht das wirtschaftlich aus? Gibt es einen Markt?
Die Masse Joghurtbecher wird man natürlich nicht im 3-D-Druck herstellen. Für große Mengen und eine schnelle Fertigung ist das Spritzgussverfahren geeignet. Auch dafür entwickeln wir einen Werkstoff mit Paludikulturbiomasse.
Beim 3-D-Druck geht es um geringe Stückzahlen, oft um das Herstellen von Prototypen im Heimbereich, in der Forschung und der Entwicklung. Es gibt immer mehr Drucker und deren Einsatz steigt. Damit wird es auch die Nachfrage nach biobasierten zukunftsfreundlichen Werkstoffen für den 3-D-Druck geben.
Kaufe ich mir irgendwann die Drucksubstanz aus Rohrkolben in der Kartusche?
Hoffentlich ja! Beim 3-D-Druck ist es dann eher eine Rolle. Es gibt bereits Compounds mit Naturfasern. Wir hoffen, dass ein Paludikultur-3-D-Druckdraht konkurrenzfähig sein wird, da er eine sehr gute Klimabilanz hat.
Jonas-Rumi Baumann arbeitet in der AG Biologische Werkstoffe von Prof. Jörg Müssig an der Hochschule Bremen. Die dortige Forschung zu Paludikultur-Biomasse für den 3-D-Druck ist Teil des Projektes NAPALU.
Das Interview führte Nina Körner.
Paludikultur-Biomasse kann Versandkartons klimafreundlicher machen. Der Versandhandel OTTO testet daher einen Karton mit einem Anteil Seggenheu. Wie die Produktion lief und der neue Karton für zwei Monate im Versand getestet wird, erzählt Karla Jabben, Sustainability Managerin bei OTTO GmbH & Co KG.
Frau Jabben, wie ist die Idee zum Karton mit Paludi-Anteil bei OTTO entstanden?
Bei OTTO schauen wir das große Ganze an. Wir glauben, dass wir mit Paludikultur einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und das Thema gemeinsam mit anderen Unternehmen größer machen können.
Als studierte Umweltwissenschaftlerin suche ich gemeinsam mit meinen Kollegen im Bereich Nachhaltige Entwicklung immer nach innovativen Verpackungen und wir haben dazu Erfahrungen aus anderen Pilotprojekten.
Für ein erstes „Paludikulturprodukt“ bot sich der Bereich Verpackung aus mehreren Gründen an: Paludi-Biomasse ist hier am einfachsten in die Produktionskette zu integrieren und Kund*innen fragen nachhaltige Verpackungen aktiv nach. Ein Versandkarton ist unser erster Touchpoint mit den Kund*innen. Er erfährt zwar nicht die größte Aufmerksamkeit und landet schnell in der Tonne, aber die Erwartungen daran sind dennoch hoch. Die Nachhaltigkeit des Kartons soll sichtbar sein, ohne die Kund*innen lange Texte lesen zu lassen. Beim Paludikultur-Karton können wir das Thema kurz und gut auf dem Karton selbst und auch drumherum kommunizieren.
Gibt es schon Berechnungen dazu, wie die Klimabilanz des Paludikultur-Kartons aussieht, also wieviel CO2 sich damit einsparen lässt?
Nein, noch nicht. Wir haben das Projekt erstmal aus Idealismus gestartet und auf die konkreten Zahlen schauen wir jetzt im Verlauf. Hier helfen uns Vergleiche mit bestehenden OTTO-Produkten z.B. hinsichtlich des Wassereinsatzes in der Produktion oder des Entwaldungsrisikos. Wir betrachten in der End of life-Bilanz, wohin der Karton in der Entsorgung wandert, wie gut er im Recycling ist, ob er Störungen in der Wiederaufbereitung des Materials verursacht. Die Klimabilanzierung kommt eher gegen Ende der Testphase.
Welche Paludikultur-Biomasse steckt jetzt genau im Paludikultur-Karton und woher stammt sie?
Das ist Seggenheu. Ein Landwirtschaftsbetrieb aus MV hat 194 Ballen von je 210 kg aus seiner letztjährigen Herbsternte von ca. 80 ha nasser Moorfläche an den Verarbeiter creapaper geliefert.
Zum Einkauf gibt es verschiedene Szenarien. Wir haben noch nicht selbst mit Landwirtschaftsbetrieben zusammengearbeitet, machen uns aber auch Gedanken zum direkten Einkauf. Dieser könnte einen Unterschied im Preis machen, oder das Bezugsrisiko minimieren.
Und welchen Anteil hat die Paludikultur-Biomasse im Karton? Wie viele davon wurden produziert?
Von den Paludi-Kartons haben wir 100.000 Stück produziert. Der Karton besteht aus 75 % Recyclingpapier, 15% Frischfaser und 10 % Paludi-Biomasse. Wir sind mit einem eher niedrigen Anteil von Paludikultur-Biomasse gestartet, möchten aber in Zukunft auch einen höheren Anteil testen. Die Stabilität des Kartons muss aber weiter gegeben sein und zu viel Paludi-Biomasse würde in der Entsorgung wahrscheinlich stören. Der Paludi-Anteil wird aber nie riesig sein und nicht über 30% betragen.
Der Anteil an Frischfaser ist natürlich immer ein Dilemma für uns und sollte in keinem Fall höher werden. Wir wollen Frischfaser in Kartons vermeiden.
Welche Erkenntnisse gab es aus der Produktion?
Das Unternehmen creapaper hat für uns die Biomasse in Pellets umgewandelt, sozusagen das Rohmaterial hergestellt. Die Verarbeitung lief unkompliziert und durch die Form der Pellets ist eine homogene Vermischung mit den anderen Bestandteilen gegeben. Der Verpackungshersteller Mondi hat dann die Kartons auf einer Pilotmaschine hergestellt. Das lief problemlos. Wir wissen allerdings noch nicht, wie sich das Material auf der normalen Maschine verhalten würde. Dort würden die Papierbahnen etwas größer.
Was passiert weiter in der Testphase?
Die Testphase ist auf zwei Monate angesetzt, hängt aber auch von der Art der Bestellungen ab. Der Paludikultur-Karton ist als Packmittel für bestimmte Produkte in bestimmter Größe oder Anzahl vorgesehen, und die müssen in ausreichender Anzahl bestellt werden.
In jedem Karton gibt es zusätzlich zu den außen aufgedruckten Infos einen Beileger aus Papier, das anteilig auch aus Paludikultur-Biomasse besteht. Der Beileger erklärt die neue Verpackung und leitet die Kunden per QR-Code zu einem Online-Fragebogen. Leider konnten wir die Umfrage nicht mit einem Incentive verbinden, etwa mit einem kleinen Einkaufsgutschein, wie es bei einigen früheren Kundenbefragungen der Fall war. Aber wir haben dennoch schon Rücklauf zu unserem Questionnaire.
Weiter betrachten wir, wie sich der Karton in der Logistik bewährt. Hält er seine Form, reißt er, wie verhält er sich, wenn es auf dem Lieferweg auch mal regnet?
Dann ist die Recyclingfähigkeit sehr wichtig. Wir lassen das von Laboren vorab testen, doch der Prozess beim Kunden lässt sich schwer kontrollieren. Im besten Fall wandert der Karton ins Altpapier und dann zu einem Entsorger. Durch Retouren, durch die der Paludikultur-Karton zu OTTO zurückgeht und dort „sortenrein“ gesammelt und so einem Entsorger weitergegeben werden kann, gewinnen wir selbst gute Erkenntnisse zum Recycling, die sich übertragen lassen. Etwa, ob Maschinen verstopfen oder verschmutzen und das Recycling durch Wartungsaufwand und Arbeitszeit teurer würde.
Und was passiert nach der Testphase? Was ist Ihr Best case szenario?
Im besten Fall funktioniert der Karton gut in den Logistikprozessen, wird von den Kund*innen angenommen und gut bewertet, und schneidet im Vergleich zu bestehenden Verpackungen in Produktion und End of life-Bilanz mit einer Recyclingfähigkeit von über 90% richtig gut ab. Wir möchten Szenarien für Preis und Versorgung entwickeln, um das Ganze größer zu machen.
Nach einer Gesamtbewertung wissen wir, wo wir nacharbeiten müssen, eventuell bei der Größe des Kartons, oder bei der Art der Biomasse. Von deren Verfügbarkeit und Art der Aufbereitung hängt viel ab. Für den Piloten wurden die Halme mechanisch aufgefasert, aber wir wägen auch andere Aufbereitungen ab. Eine chemische Auffaserung liefert längere und stabilere Fasern, fordert aber natürlich den Einsatz von Chemikalien. Der hohe Silikatgehalt in Biomasse aus Paludikultur könnte hier problematisch sein. Es gibt Thermoverfahren, für die der Aufwand für Energie entscheidend ist.
Ich glaube: Dass der Karton schon das finale Produkt bei unseren Verpackungen ist, ist unwahrscheinlich, aber mit unserem jetzigen Test rappelt es schon vielversprechend im Karton.
Das Interview wurde geführt von Nina Körner und Clemens Kleinspehn.
Hintergrund:
Die OTTO Group ist eines von 14 Unternehmen, die sich als „Allianz der Pioniere“ dafür einsetzt, skalierbare Wertschöpfungsketten auf Basis von Paludi-Biomasse aufzubauen. Die Allianz der Pioniere ist aus der toMOORow-Initiative von Umweltstiftung Michael Otto und Michael Succow Stiftung heraus entstanden. Im Projekt PaludiAllianz koordinieren und unterstützen die Umweltstiftung Michael Otto, die Universität Greifswald und die Succow Stiftung seit April 2024 den im Wachsen begriffene Zusammenschluss interessierter Unternehmen. Unter anderem bieten sie den beteiligten Unternehmen aus den unterschiedlichen Wirtschaftssektoren Expert Circles z.B. zu Baustoffen oder Papier und Kartonagen.
Das knapp 3-jährige Verbundvorhaben PaludiAllianz wird gefördert vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) aus dem Sondervermögen "Klima- und Transformationsfonds (KTF)".